Der letzte Bolero für den geliebten Walter

Mit der Naturfreundejugend digitale Geschichten aus alten Fotos produzieren

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Wir alle haben Fotos. Private natürlich, aber auch von Naturfreundehäusern oder Vereinsfahrten. Gerade ältere Mitglieder haben oft ganze NaturFreunde-Fotoarchive, von denen sie die tollsten Geschichten erzählen könnten. Aber viele verschwinden einfach und werden nie wieder angesehen. Mit ihnen verschwinden auch Orte, die uns etwas bedeutet, Menschen, die uns beeinflusst und Ereignisse, die unser Leben verändert haben. Nicht zuletzt verschwindet Zeitgeschichte.

Digital Storytelling, das digitale Erzählen von Geschichten, kann diese Erinnerungen bewahren. Das Produkt ist ein Kurzfilm, der Geschichten aus dem eigenen Leben erzählt. Für die bildliche Darstellung werden überwiegend persönliche Erinnerungsstücke wie Fotografien, kurze Videosequenzen, eigene Zeichnungen, Postkarten oder Briefe verwendet. Die eigene Stimme begleitet dann die bildliche Darstellung. Diese Digital Storys sind also sehr persönliche, autobiografische Kurzfilme, die relativ leicht erstellt und dann zum Beispiel auf YouTube hochgeladen werden können. Wenn man die Geschichte überhaupt mit anderen teilen möchte.

Die für das Digital Storytelling benötigte Ausrüstung ist überschaubar und relativ leicht zu bedienen. Man braucht ein digitales Sprachaufnahmegerät – zum Beispiel ein Diktiergerät oder ein Smartphone – und eine Digitalkamera, um die Fotos abzufotografieren – auch das können Smartphones. Dazu kommt noch ein Computer mit einer Videoschnitt-Software – zum Beispiel der „Movie Maker“, den jeder Windows-Rechner unter „Zubehör“ aufweist.

Dann braucht man natürlich Fotos, vor allem aber eine Idee von dem, was man erzählen möchte. Ich habe zum Beispiel ein Foto meiner Oma gefunden mit der Aufschrift: „Zum ewigen Gedanken an meinen geliebten Walter (Juni 1941).“ Es zeigt einen jungen Mann in Uniform. Walter war der erste Verlobte meiner Oma. In Königsberg hatten sie sich kennengelernt, dann kamen Krieg, Flucht und Tod. Meine Oma wurde 91 Jahre alt und hat über Walter fast nie gesprochen.

Auf ihrer Beerdigung wurde dann aber ihr Lieblingslied – „Der letzte Bolero“ von den Flippers – gespielt: „Er hat sie in die Arme genommen, doch von weither erklangen die Trommeln, und sie wusste genau, dass er morgen Früh schon fortgeht. Tanz mit mir die ganze Nacht, hat sie leis zu ihm gesagt, nur noch dieses Mal den letzten Bolero. Tanz und halt die Stunden an, die ich mit Dir träumen kann, nur mit Dir beim letzten Bolero.“

Das hat mich bewegt und ich möchte diese Geschichte gerne festhalten. Ich habe noch ein paar andere Fotos gefunden, sie abfotografiert und beginne nun mit dem Niederschreiben des Erzählstranges. Ähnlich wie bei der Betrachtung eines Fotoalbums mit Freunden oder Familienmitgliedern kann die Erzählung unterschiedliche Formen annehmen: Sie kann in Worte fassen, was auf dem Bild zu sehen ist, Informationen über Zeit, Ort, Anlass und Person liefern oder aber sich auch sehr weit vom Sichtbaren entfernen und über Erinnerungen, Gedanken und Gefühle sprechen, die mit dem, was das Auge sieht, nur lose verknüpft sind. Ist man mit dem Geschriebenen zufrieden, beginnt die Sprachaufnahme. Erst zum Schluss werden Ton und Bild mit dem Schnittprogramm zusammengebracht.

Die Naturfreundejugend Deutschlands bietet Ortsgruppen zweitägige Workshops zum Digital Storytelling an, bei denen nicht nur das technische Know-how (kreatives Schreiben, Schnittprogramme, Audio) vermittelt wird, sondern auch geeignete Reflexionsmethoden für das biografische Arbeiten erlernt werden. Die Ortsgruppen sorgen für Unterkunft und Verpflegung der zwei Referenten, die Fahrtkosten übernimmt die Naturfreundejugend.

Lucas Nicolaisen, Naturfreundejugend Deutschlands
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATUFREUNDiN 3-2014.