„Nicht die Wälder, die Forstplantagen sterben“

Professor Pierre Ibisch macht die Forstwirtschaft für kranke Wälder mitverantwortlich

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Der Biologe Pierre Ibisch (55) ist Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Seine fachlichen Schwerpunkte sind die Waldökologie und die Waldbewirtschaftung sowie der Erhalt der Biodiversität und der Naturressourcen angesichts des globalen Umweltwandels. Mit dem NaturFreunde-Magazin NATURFREUNDiN hat er über den Zustand unserer Wälder gesprochen.

NATURFREUNDiN: Herr Ibisch, der Klimawandel hat in Deutschland vielerorts zu extremen Dürre- und Hitzeperioden geführt. Das hat Wälder stark geschädigt. Auf etwa fünf Prozent der Flächen ist ein Großteil der Bäume abgestorben. Welche Regionen und welche Baumarten sind von diesem Waldsterben besonders betroffen?

Pierre Ibisch: Die größten Schäden finden sich in den Fichtenforsten des Tieflandes und der tieferen Lagen der Mittelgebirge. Nordrhein-Westfalen ist am meisten betroffenen. Im Sauerland oder im Oberbergischen führt das zu einem ausgeprägten Landschaftswandel. Stark betroffen sind auch der Harz und viele Landschaften in der Mitte Deutschlands. Aber man sollte nicht vom „Waldsterben“ sprechen. Es handelt sich um ein Forst- oder Plantagensterben. Es sind zwar auch Schäden in Laubwäldern aufgetreten, aber diese müssen differenziert betrachtet werden. Dort sind in den heißen letzten Jahren oft alte Buchen abgestorben, die zuvor durch den forstlichen Einschlag freigestellt wurden. Die Forstwirtschaft hat durch das Ausmaß der Holzernte maßgeblich zur Problematik beigetragen. Es wäre leichtfertig, allein auf den Klimawandel zu verweisen.

Betroffene Waldbesitzer*innen pflanzen jetzt oft vermeintlich gegen Hitze resistentere Nadelbaumarten an oder forsten kahle Flächen mit jungen Laubbäumen auf. Sie sehen einen solchen Waldumbau skeptisch?

Begriffe wie „Waldumbau“ stehen für einen Umgang mit Waldökosystemen, der für die Probleme mitverantwortlich ist. Wälder darf man nicht als Anbau von Bäumen verstehen. Denn „angebaute Bäume“ funktionieren meist nicht wie ganze Ökosysteme, die sich ja normalerweise selbst organisieren und regulieren. Teile der Forstwirtschaft blicken reduktionistisch auf den Wald und lassen einen ganzheitlichen, ökosystemaren Blick nicht zu. Viele Forstingenieur*innen glauben, sie könnten es angesichts des Klimawandels nicht dem Ökosystem überlassen, wie sich der Wald entwickelt. Damit einher geht oft eine erhebliche Unterschätzung der Klimakrise und der Bedeutung von Nichtbaum-Organismen.

Sie betonen die Relevanz des Waldbodens.

Genau, es wird erschütternd leichtfertig mit dem Boden, dem Fundament der Waldökosysteme, umgegangen. Der Boden ist ein empfindliches System, das schnell zerstört ist, aber nur sehr langsam nachwächst. Die Förderung von Böden mit ihrer Struktur, ihren Lebewesen und ihren für den Wasser- und Kohlenstoffhaushalt wichtigen Eigenschaften ist wichtiger als die Frage, welche Bäume auf ihnen wachsen.

Auf degradierten Böden können Bäume oft kaum noch aufwachsen. Befahrung mit Maschinen, Kahlschlag, Räumung, Pflügen, Abschieben des Oberbodens: Der Boden wird auf einem großen Teil der Waldflächen behandelt, als gäbe es kein Morgen. Die Konsequenzen sind Erhitzung, Austrocknung und galoppierender Humusverlust. Forstakteur*innen geht es aber immer nur um die Baumarten.

Oft wird vor dem Aufforsten per Kahlschlag das gesamte Totholz geerntet, auch um die Verbreitung von Borkenkäfern einzudämmen.

Lebendes und totes Holz sind das Material, das einen Wald zum Wald macht. Es sind langlebige Strukturen, die thermische Masse, Energie und Wasserspeicher sowie Lebensraum ausmachen. Wer einen Wald dieses Schlüsselattributs gänzlich beraubt, sollte sich nicht wundern, dass Witterungsextreme in der Heißzeit, die ja nunmehr begonnen hat, die Waldexistenz infrage stellen. Stehendes und liegendes Holz sorgen für Schatten und Schutz. Zudem sorgt Totholz dafür, dass mehr Kohlenstoff in den Bodenspeicher gelangt. Das alles ist sehr einfach zu verstehen. Die Ignoranz ist hier allerdings sehr ausgeprägt.

Ein sinnvoller Waldumbau müsste auf einer halbwegs gesicherten Klimaprognose fußen. Welche Anpassungsstrategie wäre die Alternative zum Pflanzen neuer Baumarten?

Wir sprechen über komplexe Systeme, die sich aktuell dynamisch und zum Teil überraschend verändern. Prognosen sind deshalb unmöglich. Wir wissen noch nicht einmal, ob sich die Gesellschaften der Erde überhaupt zu einem hineichenden Klimaschutz aufraffen. Noch weniger können wir abschätzen, wie die vielen Klimawandelwirkungen auf Böden, Organismen und Ökosysteme zusammenwirken. In dieser Situation geht es um das Prinzip Vorsorge und Vorsicht. Was hilft, „Zeit zu kaufen“, die Landschaft kühlt, die Austrocknung senkt und Wasser zurückhält, muss geschützt und gefördert werden.

Das sind aber nicht kleine Bäumchen auf degradierten Böden, sondern das sind ökologische Prozesse, die dazu führen, dass Ökosysteme sich von selbst wieder mit Vegetation bedecken, eine mikroklimatische Regulation betreiben sowie mit knappen Ressourcen wie Wasser und Nährstoffen effizient haushalten. Bevor wir neue Bäume pflanzen, müssen noch funktionierende Wälder besser geschützt werden – vor Übernutzung, vor Bodenschädigung und vor Zerschneidung.

Auch in Nationalparks leiden die Wälder unter Hitze und Dürre. Die Wildnis, die dort entstehen soll, besteht oft  zunächst aus abgestorbenen Bäumen. Soll man dort weiter allein auf natürliche Regeneration setzen?

Mir sind keine Schutzgebiete oder Nationalparks bekannt, in denen naturnahe Ökosysteme flächig zugrunde gegangen wären. Einzelne Flächen mit erhöhter Mortalität – etwa auf flachgründigen Böden und Standorten mit extremer Exposition wie steile Felshänge im Hainich-Nationalpark – mussten für entsprechende Unkenrufe herhalten. Was aber regelmäßig flächig kollabiert, sind Forsten und Plantagen. Das Absterben von Monokulturen gehört zu den Anpassungsoptionen der Waldökosysteme. Material und Platz werden freigegeben für etwas Neues.

Wenn man das zulässt, siedeln sich meistens diverse Baumarten an, die potenziell einen Mischwald vorbereiten. Forstwirt*innen fordern schnell aktiven Waldumbau, ehe sie dem Waldökosystem eine Chance geben, sich selbst zu regenerieren. Erst degradiert man einen Wald über Jahrzehnte und dann gibt man ihm nach einer Kalamität kaum Monate, sich zu erholen.

Was schlagen Sie vor?

Wir brauchen mehr Wald mit intakteren belebten Böden, mit mehr Biomasse und Humus sowie mit mehr Arten- und Strukturvielfalt. Waldmanagement ist Landschaftswasser- und Temperaturmanagement. Dafür ist ein Bewusstsein zu entwickeln. Starke Holznutzung führt zur Temperaturerhöhung und Schwächung des Waldes.

In vielen Wäldern muss deshalb die Intensität der Nutzung reduziert werden. Die Befahrung mit schweren Maschinen sollte besser genauso untersagt werden wie das Neuanpflanzen von Nadelbaumforsten. Jeder Waldrand, jeder breite Weg, allemal Straßen und baumfreie Schneisen bedeuten eine Vergrößerung der Angriffsfläche von Sturm, Dürre, Hitze und damit eine Schwächung. Das gilt auch für Schwerlasttrassen für den Bau von Windrädern im Wald. Der Wald muss vor Stress bewahrt werden.

Interview: Jürgen Voges