Das Grauen des Ersten Weltkrieges

Vor 100 Jahren: Massaker an der Zivilbevölkerung im belgischen Dinant

Anlässlich der Gedenkfeiern zum Ersten Weltkrieg im belgischen Dinant erklärt der Bundesvorsitzende der NaturFreunde Deutschlands Michael Müller:

Heute vor 100 Jahren, am 23. August 1914, verübten die deutschen Truppen in Dinant, einer wallonischen Kleinstadt in Belgien, einen ersten Rachefeldzug gegen die Zivilbevölkerung. Eine Woche vorher traf der Überfall der deutschen Armee auf das neutrale Nachbarland auf den Widerstand belgischer und französischer Truppen, zu denen auch eine Abteilung des jungen Leutnants Charles de Gaulle gehörte. Nach der Überquerung der Maas kam es zu einem nächtlichen Scharmützel. Daraufhin legten die deutschen Truppen zwei Drittel der Stadt Dinant in Schutt und Asche, töteten willkürlich 674 Zivilisten, benutzten die gefangenen Belgier als menschliche Schutzschilde und deportierten weitere 400 Belgier nach Deutschland. Das war der größte Gewaltausbruch gegen Zivilisten in den ersten Monaten des Ersten Weltkrieges.

Keine Aufarbeitung der Kriegsschuldfrage
In Deutschland gehört das Massaker von Dinant zu den „vergessenen“ Verbrechen des Ersten Weltkrieges. Das Wilhelminische Reich hatte eine Schuld am Krieg und eine Schuld im Krieg. Beides gehört zusammen. Es war eine Zeit, in der der Widerspruch zwischen einer feudalen Ordnung und dem Aufstieg der Industrienation Deutschland explosiv wurde. Militarismus und Nationalismus wurden zum Ventil für ungelöste Probleme, weil es nicht zu mehr sozialer Demokratie gekommen war. Das Sagen hatten der Adel und das Militär, die hemmungslos den Krieg wollten. Aber eine breite Aufarbeitung der Kriegsschuldfrage hat es in Deutschland nicht gegeben, statt dessen wurde die Schuld bei anderen gesucht. Die Pariser Vorstadtverträge wurden zum unwahren Vorwand für ein angeblich erlittenes großes Unrecht. Es war eine Ideologie, die nicht zuletzt in den Nationalsozialismus, zum Zweiten Weltkrieg und zur Ermordung der europäischen Juden führte.

Die Bundesregierung fehlt beim Gedenken an den Ersten Weltkrieg
Die Bundesregierung hat es nicht für nötig gehalten, einen Vertreter zu der Gedenkveranstaltung in Dinant zu schicken. Die Einladung wurde bereits vor einem Jahr ausgesprochen. Leider hat auch der Bundespräsident in seinen beiden Reden kein Wort der Entschuldigung geäußert. In Deutschland hat sich die falsche, aber bequeme Sicht einer Allgemeinschuld der europäischen Staaten am Ersten Weltkrieg breit gemacht. Dies ist nicht nur unhistorisch, sondern mehr noch ein Selbstbetrug, ganz so wie bei den von Bertolt Brecht in "Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher" dargestellten "Weißwäschern".

Fehlendes Geschichtsbewusstsein führt zu Fehlern in der Gegenwart
Wer aber die Geschichte nicht kennt, der kann auch in der Gegenwart versagen. Geschichtsbewusstsein, das ist das, was die europäische Politik heute mehr denn je braucht. Die NaturFreunde Deutschlands, deren Geschichte von einer antimilitaristischen Grundhaltung geprägt wurde, haben über die Ortsgruppe Marburg eine Partnerschaft mit Dinant. Für uns ist es selbstverständlich, an den Trauerfeiern teilzunehmen. Wir sind einer der Initiatoren der Ostermärsche, der erste Attentäter auf Hitler, Georg Elser, war ein NaturFreund. Viele von uns sind im Konzentrationslager gestorben. Deshalb sehen wir es als unsere Pflicht an, die Erinnerung wach zu halten. Aber wir sind tief enttäuscht von dem Desinteresse und der Ignoranz der Bundesregierung.

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