Institutionelle Anleger ziehen ihr Kapital immer häufiger aus fossilen Wertschöpfungsmodellen ab
„Das ist ein großer Sieg“, sagt Torstein Tvedt Solberg. Der Sozialdemokrat ist Mitglied des norwegischen Finanzausschusses, der soeben Geschichte geschrieben hat. Und Trine Skei Grande, die Chefin der liberalen Venstre-Partei, erklärte: „Das war der wichtigste klimapolitische Beschluss, an dem ich je beteiligt war.“
Beide beziehen sich auf ein „Sparschwein“ namens „Statens pensjonsfond utland“ – landläufig auch als „Ölfonds“ bezeichnet. In diesen „Auslandspensionsfonds“ fließt ein Großteil der norwegischen Öleinnahmen. Investieren darf er allein in ausländische Wertpapiere. Kommende Generationen – so die Idee – sollen nach dem Ende des Ölzeitalters auch noch am Ölreichtum teilhaben können.
825 Milliarden Euro fließen nicht mehr in fossile Energien
Mehr als 7.000 Milliarden norwegische Kronen sind bereits in den Fonds geflossen – 825 Milliarden Euro. Das Geld wird in mehr als 9.000 Aktiengesellschaften investiert. Dem Fonds gehören 2,5 Prozent des an europäischen Börsen gehandelten Aktienvermögens. Bislang investierte der norwegische „Auslandspensionsfonds“ auch in Kohle- oder Erdölfirmen. Das warf ordentlich Rendite ab, der Fonds wurde gar zu einem großen „Player“, was Investitionen in Kohleunternehmen anging. Aber nun kam es eben zu jenem Beschluss im norwegischen Parlament, den Solberg einen „Sieg“ nennt: Künftig sollen aus dem „Auslandspensionsfonds“ alle Unternehmen ausgeschlossen werden, die mehr als 30 Prozent ihrer Einkünfte oder ihrer Produktion mit Kohle oder Erdöl generieren. Derartige Strategien laufen unter dem Begriff „Divestment“. Divestment ist das genaue Gegenteil von „Investment“: Kapital wird nicht angelegt, sondern freigesetzt. In einem politischen Verständnis bedeutet der Begriff, dass man sich von Wertpapieren trennt, die unökologisch oder unter ethischen Gesichtspunkten fragwürdig sind. Die „Church of England“ betreibt Divestment, die Harvard Universität und die Stadt Münster auch: Laut Erhebung der britischen Zentralbank zogen Pensionskassen, Rentenfonds, Stiftungen, Universitäten und Städte allein im Jahr 2013 mehr als 600 Milliarden Dollar aus „fossilen Investitionen“ ab. Sogar die fossilen Unternehmen selbst stecken ihr Geld immer häufiger in nicht-fossile Energieträger.
„Eon ist heute davon überzeugt, dass der Wandel der Energiewirtschaft nicht mehr aufzuhalten ist“, sagt Sven Utermöhlen, Leiter für das internationale Offshore-Geschäft bei Eon. Europas größter Energiekonzern wird sich in zwei Konzernteile aufspalten: einen Bereich, der die klassische Energieerzeugung unter dem Namen Uniper bündelt, und die neue Eon, die den Bereich der Erneuerbaren übernimmt. Kann der Eon-Vertreter ausschließen, dass die neue Eon irgendwann irgendwo wieder ein Kohlekraftwerk baut? „Für die absehbare Zeit: eindeutig ja! Das ist nicht Teil der Strategie der neuen Eon“, so Utermöhlen. Aktuell baut Eon einen mehrere Milliarden Euro teuren Offshore-Windpark.
Sogar die Rockefellers betreiben Divestment
Ölmagnat John D. Rockefeller würde heute als „scharfsinniger Geschäftsmann mit dem Blick für die Zukunft entscheiden, sich von fossilen Energien zu verabschieden und in saubere erneuerbare zu investieren“, behauptete Stephen Heintz, Präsident des mit 860 Millionen Dollar dotierten Rockefeller Brothers Fund. Selbstredend folgt Heintz diesem Credo – und zieht das Rockefeller-Geld aus den fossilen Geschäften ab.
Die Staats- und Regierungschefs der sieben größten Industrienationen hatten auf ihrem Gipfel im Juni auf Schloss Elmau mehr Klimaschutz beschlossen. Notwendig seien „tiefe Einschnitte bei den weltweiten Treibhausgasemissionen, einhergehend mit einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts“, heißt es in der Ab- schlusserklärung. Bis Ende des Jahrhunderts soll die Energieversorgung ohne Kohle, Öl und Erdgas auskommen. Eine Untersuchung im März 2014 kam zu dem Ergebnis, dass allein die europäische Finanzindustrie etwa eine Billon Euro in Öl-, Kohle- und Gaskonzerne investiert hat. Sollte die EU jetzt wirklich ernst machen mit dem Klimaschutz, dann drohen Banken und Pensionsfonds Milliardenverluste. Zwischen 30 und 40 Prozent des Unternehmenswertes könnten in Gefahr sein, errechneten die Unternehmensberatungen McKinsey. Die Studie hat 43 der größten Banken und Pensionsfonds in Europa unter die Lupe genommen. „Ein Zerplatzen der Blase könnte deshalb einen Kohlenstoff-Schock auslösen mit ernsten Konsequenzen für unser Finanzsystem“, warnt der grüne EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer.
Eine „Kohlenstoffblase“ im Finanzsystem
Klimaschutz als große Gefahr für die internationale Finanzwirtschaft? Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank EZB, hat nicht nur mit Griechenland alle Hände voll zu tun. Draghi sicherte zu, sich mit dem drohenden Wertverlust fossiler Investments durch künftigen Klimaschutz zu beschäftigen, der Begriff der „Kohlenstoffblase“ war geboren. Viele Fossil-Konzerne sind demnach stark überbewertet, weil sie in ihren Bilanzen den Wert fossiler Lagerstätten eingestellt haben, die zwar erkundet, aber noch nicht einmal mit Bohrgerät ausgestattet sind. Ihr Börsenwert wird genau so wie ihr Anlagevermögen allein durch den Besitz einer fossilen Lagerstätte in die Höhe getrieben.
Soll aber das international vereinbarte Zwei- Grad-Ziel beim Klimaschutz eingehalten werden, müsste der größte Teil dieser fossilen Reserven im Boden bleiben. Die Vermögenswerte der Unternehmen würden damit sehr viel weniger wert sein, als das jetzt noch in den Bilanzen ausgewiesen ist. Die Wertverluste könnten, so die Vermutung, ähnlich der im Jahr 2008 geplatzten US-Immobilienblase eine neue strukturelle Krise im Finanzsystems auslösen.
Kein fossiles Geschäftsmodell ist immun
Die Worte von Elmau würden „die Ausrichtung von Forschung und Innovation für Generationen verändern“, erklärte Joe Kaeser, der Vorstandschef des Industriekonzerns Siemens. In Deutschland müssten beispielsweise „99 Prozent der derzeitigen Autoproduktion mit Verbrennungsmotoren ersetzt werden“, so Kaeser nach dem G7-Gipfel. Ein solch visionäres Ziel müsse von der Politik „planvoll und überlegt in Handlungen umgesetzt werden“.
Sogar die Internationale Energieagentur IEA – einst Speerspitze der fossilen Konzerne – warnt jetzt die konventionelle Energieindustrie vor Milliardenverlusten. „Wenn Sie denken, dass Ihr Geschäftsmodell immun gegen die Auswirkungen der Klimapolitik ist, dann machen sie einen strategischen Fehler“, sagte der IEA-Chefökonom Fatih Birol. Birol wird im September den Chefposten bei der IEA übernehmen und gilt als eine der einflussreichsten Personen in der Energiewelt.
Noch aber ist die Zeit „nach der Kohle“ nicht in Sicht: In den letzten 13 Jahren hat sich die Kohleverbrennung verdoppelt. Zwar sind die meisten Konzerne, die auf Kohle setzen, schwer ins Trudeln geraten. RWE, größter deutscher Kohle-Verstromer verlor seit April 2010 mehr als 60 Prozent seines Börsenwertes, und der größte Kohleförderer der USA, Peabody Energy im gleichen Zeitraum sogar 90 Prozent. Weil aber die Kohlekraft weltweit immer noch sehr stark subventioniert wird, werden weiter neue Kohlekraftwerke gebaut.
Nick Reimer
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 3-2015.