Der Jahrhundertwissenschaftler Paul Crutzen

Warum das Anthropozän eine Weltinnenpolitik erfordert

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Schon einmal befand sich die Menschheit auf dem Weg, ihre Lebensgrundlagen zu zerstören. Vor drei Jahrzehnten ging es um das „Ozonloch“, das rapide anwuchs durch den Eintrag von Fluorchlorkohlenwasserstoffen aus Klimaanlagen und Spraydosen. Gerade noch rechtzeitig beschloss die Weltgemeinschaft im Jahr 1987 das „Protokoll zur Rettung der Ozonschicht“.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Verständnis der Chemie der Ozonschicht lieferte der Meteorologe Paul Crutzen, der für seine Entdeckung 1995 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Er zeigte auch die Langzeitwirkung von Umweltverschmutzung auf, nach der eingebrachte Stoffe noch nach Jahrzehnten eine destruktive Rolle spielen können.

Mensch als Naturkraft!

Die Nobelpreisrede Crutzens sowie andere wichtige Aufsätze des Wissenschaftlers lassen sich nun in dem vom NaturFreunde-Bundesvorsitzenden Michael Müller herausgegebenen Band Das Anthropozän nachlesen, in dem auch weitere Wissenschaftler wie Hans Joachim Schellnhuber oder Politiker wie Klaus Töpfer die Bedeutung des Forschers einordnen.

Im Jahr 2000 auf einer Tagung in Mexiko hatte Crutzen erstmals vorgeschlagen, das Holozän, unser geologisches Zeitalter, zum Anthropozän, „Zeitalter der Menschenzeit“, weiterzudenken. Denn erstmals in der Geschichte ist das Handeln des Menschen zu einer bestimmenden Naturkraft geworden, die sich naturwissenschaftlich messbar in die geologischen Tiefenschichten des Planeten einschreibt.

Novität
Paul J. Crutzen, Michael Müller (Hrsg.): Das Anthropozän – Schlüsseltexte des Nobelpreisträgers für das neue Erdzeitalter; 224 Seiten, Leinen; oekom verlag, München, 2019; ISBN 9783962381370; 20 Euro.

Tatsächlich finden sich in den Sedimenten mittlerweile Spuren der Industrialisierung vom Verbrennungsruß über Mikroplastik bis zum radioaktiven Fallout der Atombombentests. 2002 legte Crutzen in der Zeitschrift Nature dafür naturwissenschaftliche Belege vor.

Dass der Mensch zu einer geologischen Kraft geworden ist, die zu Veränderungen der Natur fähig ist wie kein anderes Lebewesen, hatte im Jahr 1926 schon der russische Geochemiker Wladimir Vernadsky in seinem Buch Biosphäre beschrieben. Crutzen terminiert den Beginn des Anthropozäns mit der einsetzenden Industrialisierung ab dem Jahr 1850. Andere haben den Abwurf der Atombomben über Nagasaki und Hirohima im Jahr 1945 als Startzeitpunkt vorgeschlagen.

Michael Müller, ehemals Staatssekretär im Bundesumweltministerium, hatte als einer der ersten die politische Dimension des Anthropozäns erkannt. Wenn die Menschheit in geologischen Dimensionen in die Natur eingreifen kann, dann hat sie auch eine besondere Verantwortung, die sie in eine Art „Weltinnenpolitik“ überführen muss. In Zeiten des Klimawandels gilt dies umso mehr, da die Menschheit auf sogenannte Kipppunkte zusteuert, an denen sie ihre Gestaltungskraft gegen eine globale Katastrophe verliert.

Gelegentlich wird der Anthropozän-Begriff kritisiert, weil er suggeriere, dass alle Menschen gleichermaßen destruktiv in den Naturhaushalt eingriffen. Ein Missverständnis: Denn selbstverständlich können die Hauptverantwortlichen des „American Way of Life“ leicht benannt werden. Allerdings entlässt diese Fähigkeit die gesamte Menschheit nicht aus ihrer Verantwortung für den gemeinsamen Planeten.

Geoengineering als Ausweg?

Paul Crutzen wünscht allen Klimaschützern viel Erfolg – und kürzlich auch ausdrücklich der Fridays-for-Future-Bewegung. Da er Naturwissenschaftler ist, denkt er aber auch darüber nach, was getan werden könnte, falls die 1,5 Grad, um die sich die Erde nach dem Pariser Klimaschutzabkommens maximal erwärmen könnte, deutlich überschritten würden.

Nachzudenken, über welche Techniken im Bereich des sogenannten Geoengineering die Menschheit verfügen könnte, um dann noch gegenzusteuern, ist für rational denkende Menschen eine Aufgabe von Wissenschaft. Nur Gläubige mit Heilserwartungen können auf solche Forschung verzichten. Für Crutzen ist die Hierarchie dabei klar: Alles für das Pariser Klimaschutzabkommen tun, und zwar so rasch wie möglich. Und dennoch über Maßnahmen zur Katastrophenabwehr nachdenken, falls der aktuelle Pfad der wachsenden Kohlendioxid-Emissionen nicht noch rechtzeitig radikal umzukehren ist.

Hans-Gerd Marian