Frieden verlangt den Mut zur Mündigkeit: Das Wichtigste in der zusammengewachsenen Welt sind Frieden und der Wille zur Zusammenarbeit

Ein Beschluss des 32. Bundeskongresses der NaturFreunde Deutschlands, der vom 25.–27. April 2025 in Kaiserslautern tagte

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A. Die Geschichte der NaturFreunde ist auch eine Geschichte des Einsatzes für den Frieden. Heute sind wir erneut gefordert. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist zum Katalysator für einen Weltord­nungskrieg, globale Aufrüstung und die Blockade einer gemeinsamen Friedens- und Weltinnenpolitik geworden. Im Nahen Osten kann eine ganze Region in Flammen gesetzt werden mit furchtbaren Folgen für die Welt. Terror und Gewalt schaukeln sich ge­genseitig hoch und treffen vor allem Kinder, alte Menschen und finanziell schwache Gruppen.

In beiden Regionen muss es schnell und dauerhaft zu gerechten Waffenstillständen und Friedensver­handlungen kommen. Und nicht nur dort. Weltweit werden derzeit 21 Kriege und zahlreiche militärische Auseinandersetzungen geführt. Die Forderung „Nie wieder Krieg!“, die Käthe Kollwitz im Auftrag der so­zialistischen Jugend 1918 auf ein Plakat zeichnete, ist auch nach den großen Katastrophen des letzten Jahr­hunderts immer noch unerfüllt.

B. Aus Sicht der NaturFreunde ist die Entspannungs­politik nicht überholt, aber sie muss weiterentwi­ckelt werden. Das erfordert eine mutige Politik und mündige Staatsbürger*innen. Aufklärung ist auch heute der Ausgang des Menschen aus seiner Unmün­digkeit. Oder – wie es aktuell heißen muss – aus der Falle der Kriege und ihrer Eskalation. Haben wir also im Sinne von Immanuel Kant den Mut, uns des eige­nen Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen? Das ist der Mut zur Mündigkeit, den wir brauchen, um zu einem kritischen Selbstdenken fähig zu sein.

Kant hat in seinem Spätwerk Zum ewigen Frieden seine Moralphilosophie, den kategorischen Imperativ, in der Form eines Friedensvertrages konkretisiert. Der Frieden war für ihn eine kosmopolitische Idee, untergeordnet einem allgemeingültigen Rechtssystem: „Das Recht der Menschen muss heilig gehalten wer­den, der herrschenden Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten.“ Die Ideen des Völkerrechts und die Charta der Vereinten Nationen wurden we­sentlich von dieser Schrift beeinflusst.

Die sechs Präliminarartikel von Kant sind noch im­mer aktuell. Sie sollten aufgegriffen und um soziale und ökologische Ziele erweitert werden. Sie waren die Grundlage für das liberale System des Westens und können durch ihre globale Ausrichtung auf die kritische Vernunft heute zum Friedensvertrag für die zusammengewachsene Welt werden. Dafür brauchen wir eine starke Friedensbewegung, die sich nicht Stimmungen anpasst, sondern der zunehmenden Militarisierung der Außenpolitik eine klare Absage erteilt.

Dabei lassen wir uns von folgenden Erkenntnissen leiten:

C. Seit drei Jahren findet der Krieg in der Ukraine bereits statt, er droht zu einem Krieg bis zur Erschöp­fung zu werden. Krieg bedeutet Tod, Verstümmelung, Elend, Flucht und die Zerstörung von Infrastruktur und Wohngebieten. Er zeigt erneut die grausame Wirklichkeit von Kriegen. Krieg bedeutet Aufrüstung und milliardenschwere Geschäfte für die Rüstungs­industrie. Krieg trifft in erster Linie die finanziell schwachen Schichten. Krieg bedeutet immer auch die Gefahr der Ausweitung und Eskalation, denn Krieg kennt keine Grenze in sich. Er braucht poli­tisch-diplomatische Lösungen statt immer mehr Auf­rüstung.

Der Krieg hat eine komplexe und komplizierte Vor­geschichte, die nicht verdrängt werden darf und auch die Frage nach der „Selbstbehauptung Euro­pas“ stellt. Nicht die NATO darf die Politik der EU-Staaten bestimmen, sondern umgekehrt müssen die gewählten Regierungen und Parlamente vorgeben, was die Aufgabe der NATO ist. Zentrales Ziel muss die Gemeinsame Sicherheit sein, so wie sie in der KSZE-Schlussakte und der Charta von Paris für ein neues Europa vorgegeben sind.

D. Nichts rechtfertigt Kriege. Wir sagen Nein zum Krieg und fordern einen Waffenstillstand und Frie­densverhandlungen. Der Ukraine-Krieg wird sonst immer stärker zum Katalysator für einen Weltord­nungskrieg mit unüberschaubaren Auswirkungen:

  1. Der Krieg ist ein Anschlag auf menschliches Le­ben. Es gibt keine größere Tragödie als die Er­mordung von Menschen und keine größere Un­gerechtigkeit als das Töten von Kindern. In diesem Krieg sterben nicht nur Soldat*innen auf beiden Seiten, die überwiegend aus einfachen Verhält­nissen stammen, sondern auch viele unschul­dige Zivilist*innen.
  2. Aus dem Krieg ist ein blutiger Stellungskrieg ge­worden, der stark an die Schlachten des Ersten Weltkriegs erinnern. Die Gefahr wächst, dass eine ganze Generation ausblutet.
  3. Der Krieg hat eine innere Eskalationsdynamik. Die Gefahr wächst, dass nicht nur immer schwerere Waffensysteme eingesetzt werden, sondern auch die NATO in den Krieg hineinrutscht. Der Einsatz geht bereits über die Ukraine hinaus. Der Krieg kann zu einem großen Krieg in Europa werden.
  4. Der Krieg hat zu einem Ende des militärischen Kontroll- und Rüstungsbegrenzungsregime ge­führt, das nach der Kuba-Krise von 1962 entstan­den ist. Besonders folgenreich für Europa ist die Aufkündigung des INF-Vertrages von 1987, der zur Verschrottung der landgestützten Mittelstre­ckenraketen zwischen 500 und 5.500 Kilome­tern Reichweite geführt hat.
  5. Die NATO hat sich – begründet mit dem Ukraine-Krieg – weitreichend neu aufgestellt. Die Aufrüs­tung nimmt zu und soll deutlich über einen An­teil von zwei Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hinausgehen. Aus dem Nordatlantischen Verteidigungspakt soll mit dem Konzept NATO 2030 eine globale Armee werden, die neben Russland vor allem China als Hauptgegner sieht.
  6. Derzeit verfügen neun Staaten über insgesamt 12.512 Atomwaffen. Russland und die USA verfü­gen über mehr als 90 Prozent davon. Beide Staa­ten modernisieren ihre Arsenale und weitere Staaten versuchen Atombomben zu bauen.
  7. Die zusammengewachsene Welt braucht mehr denn je Kooperation und ein gemeinsames Vor­gehen. Andernfalls sind die großen globalen Herausforderungen, zu denen insbesondere die Klimakrise gehört, nicht zu bewältigen. Notwen­dig ist eine Weltinnenpolitik.
  8. Der Mensch ist im Anthropozän zum stärksten Treiber der Naturprozesse geworden. Doch die Natur „schlägt zurück“, Klimakriege werden denkbar. Die Gefahr wächst, dass die Selbstzer­störung möglich wird. Würden die zwei Prozent BIP nicht für Rüstung, sondern für den Klima­schutz verwendet, könnte die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius begrenzt werden.
  9. Die EU verzeichnet einen deutlichen Einflussver­lust. Die USA diktieren wichtige Entscheidungen. Sie haben ihre Macht auf dem alten Kontinent gesteigert. Die liberale Demokratie wurde ge­schwächt.
  10. Das Kräfteverhältnis auf der Welt verändert sich stark. Die BRICS-Staaten spielen eine immer stärkere Rolle. China verbreitet mit dem Projekt der Seidenstraßen sein Entwicklungsmodell. Der Globale Süden entwickelt ein neues Selbst­bewusstsein.

E. Die wichtigste Aufgabe ist es, Wege zu finden, um die Kriege zu beenden. Gemeinsame Sicherheit – heute erst recht! Vor allem in der Ukraine und im Nahen Osten. In Europa sollte eine Konferenz im KSZE-Format, die sich an der Charta von Paris orien­tiert, Vorschläge für eine dauerhafte gesamteuropäi­sche Sicherheitsordnung aushandeln.

Für Israel und Palästina muss die Zwei-Staaten-Lösung von Camp David wieder aufgegriffen werden, um zu einer neuen Stabilität und Sicherheit zu kommen.

F. Eine neue Friedens- und Entspannungspolitik muss an den Empfehlungen der drei Reports der Un­abhängigen UN-Kommissionen der 1980er-Jahre an­schließen. Dazu zählen der Nord-Süd-Report, das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit und die Leit­idee der Nachhaltigkeit. Sie müssen als Einheit gese­hen werden. Nord-Süd-Solidarität ist nicht ohne ge­meinsame Sicherheit zu erreichen. Und gemeinsame Sicherheit nicht ohne Nachhaltigkeit. Und Nachhal­tigkeit nicht ohne Nord-Süd-Solidarität. Das sind die entscheidenden Grundlagen für eine Weltinnenpolitik.

Doch statt diese Programmatik aufzugreifen, hat sich im politischen und öffentlichen Mainstream der letz­ten Jahre eine Ausrichtung auf Aufrüstung, militäri­sche Einsätze und Militarisierung der Außenpolitik unter der Dominanz der NATO durchgesetzt. Bei­spielhaft steht dafür das Papier Neue Macht – neue Verantwortung aus dem Jahr 2013, erstellt unter der Führung der Stiftung Wissenschaft und Politik und des German Marshall Fund of the United States.

Die NaturFreunde Deutschlands bleiben mitbestim­mender und kritischer Teil der Friedensbewegung in Deutschland. Angesichts der immer stärkeren Rechts­entwicklung und der Wirkmächtigkeit national-auto­kratischer Politik initiiert der Bundesvorstand inner­verbandlich mit geeigneten Formaten einen Verstän­digungs- und Diskussionsprozess über die Rolle der Friedensbewegung und den aktiven Beitrag der Natur­Freunde.

Die NaturFreunde Deutschlands werden ihre Bil­dungsarbeit zu diesem Thema und den sozialen Aus­wirkungen der Aufrüstung intensivieren.

Die NaturFreunde werden in regelmäßigen Zeitab­ständen als gemeinsames Projekt Friedenswande­rungen organisieren.

ANHANG
Zur weiteren innerverbandlichen Diskussion zum Thema Frieden und Wille zur Zusammenarbeit beschließt der Bundeskongress:

Die Komplexität der heutigen Welt spiegelt sich auch in den Diskussionen der NaturFreunde wider. Die Widersprüche, die wir heute auch in der Mitglied­schaft der NaturFreunde wiederfinden, müssen wir als NaturFreunde aushalten. Den Pluralismus verste­hen wir als demokratische Stärke. Unser Ziel ist den­noch ein gemeinsames, das unsere Arbeit vor Ort und auf der politischen Ebene bestimmt.

Der Grundsatz, dass Frieden nicht nur die Abwesen­heit von Krieg ist, steht für die NaturFreunde im Mit­telpunkt ihres Handelns. Der Platz der NaturFreunde ist auch weiterhin stets an der Seite der Betroffenen von Krieg. Unsere Antwort auf Krieg und Krise sind Diplomatie und Solidarität.

Konkret heißt das für uns:

  • Die NaturFreunde unterstützen das Recht auf Kriegsdienstverweigerung.
  • Die NaturFreunde leisten aktiv und konkret Hilfe für Menschen auf der Flucht.
  • Die NaturFreunde setzen sich für Verhandlungen zur Lösung von Konflikten ein. Wir wollen zivile Mechanismen zur Konfliktbewältigung etablieren.
  • Die NaturFreunde stehen hinter dem Völker­recht und dem Recht auf Selbstverteidigung.
  • Die NaturFreunde fordern die Diskussion über eine neue europäische Sicherheitsarchitektur.
  • Die NaturFreunde sind als Teil der Internationa­len Arbeiter*innenbewegung weiterhin ein Teil der Friedensbewegung mit klarer Position gegen Aufrüstung.
  • Die Vereinnahmung der Friedensfrage durch rechte und verschwörungstheoretische Gruppen lehnen die NaturFreunde deutlich ab.
  • Die NaturFreunde beteiligen sich weiterhin mit Frieden in Bewegung am friedenspolitischen Dis­kurs.
  • Die NaturFreunde stehen auf der Seite der Inter­nationalen Solidarität und im deutlichen Wider­spruch zum Erstarken des Autoritarismus und Nationalismus.
  • Die NaturFreunde erkennen an, dass soziale Un­gleichheit und Umweltzerstörung weltweit Kriege befördern.

Wir werden allen Gliederungen unterschiedliche Formate anbieten, um auch die noch bestehenden Widersprüche gemeinsam solidarisch zu bearbeiten.

www.bundeskongress.naturfreunde.de