Buchrezension: "Namibia – Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit"

Buchrezension von Peter Bräunlein, NaturFreunde Ulm

Coverabbildung des Buchs "Namibia" von Henning Melber
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Henning Melber analysiert das mittlerweile 25 Jahre unabhängige Namibia kritisch. Dabei kommen ihm nicht nur seine mehrjährigen Aufenthalte in dem Land vor und nach der Unabhängigkeit zugute, sondern auch seine, oft leitenden, Tätigkeiten an Forschungsinstituten. Zudem ist er ein langjähriges Mitglied der namibischen Regierungspartei SWAPO und war selbst aktiv beteiligt an etlichen politischen Initiativen, wie etwa der um das koloniale Reiterdenkmal in Windhuk.

Henning Melber: Namibia. Frankfurt: Brandes & Apsel, 2015. 216 S., 19,90 €

So dürfte Melber wohl auch jeden Akteur der kleinen, aber weiterhin einflussreichen deutschsprachigen Minderheit in Namibia kennen und dürfte mit vielen kontrovers diskutiert haben. Denn seine linksliberale Sicht ist in der weitgehend konservativen Gruppe eine Ausnahme.

Interessanter als die Beschreibung der oft kleinkarierten Auseinandersetzungen in der deutschsprachigen Minderheit, in der es immer noch nicht wenige Kolonialnostalgiker und Rechtsradikale gibt, ist aber Melbers Analyse der bundesdeutschen Politik gegenüber Namibia. Nach wie vor drückt sich die offizielle deutsche Politik vor einer klaren Entschuldigung wegen des Völkermords des Kaiserreiches an den Herero und Nama. An eine Entschädigung ist erst gar nicht zu denken. Auch die Rückführung von in deutschen Museen und Instituten gelagerten Schädeln von Herero und Nama wurde von deutscher Seite bisher nicht immer respektvoll durchgeführt. Dabei differenziert Melber sorgfältig zwischen den unterschiedlichen Repräsentanten deutscher Politik in Namibia. Doch bleibt nach der Lektüre der Eindruck, dass insgesamt trotz des beachtlichen finanziellen Engagements die deutsche Politik wenig einfühlsam ist. 

Am interessantesten ist Melbers kritische Bestandsaufnahme der SWAPO-Politik nach 1990. Zwar ist Namibia eine Demokratie mit einem Mehrparteiensystem und Pressefreiheit, aber die dominierende Rolle der früheren Befreiungsbewegung gepaart mit einer sehr starken Rolle des Präsidenten lässt Melber das gegenwärtige politische System als „autoritäre Demokratie“ (S. 60) beschreiben, wofür er vor allem den ersten Präsidenten Nujoma verantwortlich macht.

Sozial ist Namibia weiterhin extrem gespalten. Neben einer kleinen reichen Oberschicht (vor allem Deutsch- und Afrikaanssprachige) ist eine neue schwarze Elite von „tenderpreneurs“ (S. 99) entstanden. Deren Reichtum beruht vor allem auf ihrer Nähe zum SWAPO-dominierten Staatsapparat. Sie profitieren etwa vom Weiterverkauf von Lizenzen zur Ausbeutung von Bodenschätzen (Öl, Uran, Diamanten), aber auch zum Fischfang an internationale Konzerne. Die proklamierte Namibianisierung der Wirtschaft ist nur ein Deckmäntelchen für die Selbstbereicherung einer kleinen Gruppe.

Bemerkenswert ist auch Melbers Analyse des gesamtwirtschaftlich sehr wichtigen Tourismussektors, der fast ausschließlich auf eine kleine Gruppe betuchter Weißer, vor allem Deutscher, abzielt. Dabei werden oft koloniale Klischees bedient.

Zwar sind viele der Texte bereits anderswo erschienen und etliches wiederholt sich, aber dennoch ist der Band informativ und zudem flüssig geschrieben. Leider fehlen Fotos und Karten. Trotzdem empfehlenswert.

Peter Bräunlein, NaturFreunde Ulm