Warum wir uns an ein extremeres Wetter anpassen müssen
Zuerst riss das Wasser den Giebel weg. Familie Jäpel flüchtete auf den Dachboden. Dann holte sich die Flut die Vorderfront. Die Jäpels konnten dem einstürzenden Dach ausweichen. Zuletzt hatte das tobende Wasser nur eine Wand übrig gelassen. Auf der hockten die Jäpels stundenlang – bis sie schließlich ein Hubschrauber rettete.
Eine „Jahrhundertflut“ sei das gewesen, sagte man den Jäpels im sächsischen Wesenstein. Es war 2002, als der Elbpegel dort erstmals über die historische Marke aus dem Jahr 1845 anschwoll: auf über neun Meter. Allerdings musste vier Jahre später schon wieder Katastrophenalarm ausgerufen werden. Und am 7. Juni 2013 wurde erneut die Neun-Meter-Marke überschritten.
„Der Klimawandel ist bereits Realität“, schreiben die Wissenschaftler des Weltklimarates. In vielen Regionen der Welt verändert sich der Wasserhaushalt, weil Niederschlagsmuster durcheinandergeraten sind. Die Produktion von Trinkwasser und sauberer Luft, das Bereitstellen von Nahrung – viele Funktionen, die die Natur für den Menschen erfüllt, sind bereits jetzt durch den Klimawandel geschwächt. Die Wissenschaftler konstatieren in ihrem neuen Sachstandsbericht, dass es der Klimawandel schwieriger und teurer macht, der wachsenden Menschheit ausreichend Trinkwasser und Nahrung zur Verfügung zu stellen.
Was die Wissenschaftler in ihrer „Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“ trocken formulieren, bietet Stoff für eine ganze Horrorfilmreihe: Die Verbreitungsgebiete rankheitsübertragender Insekten haben sich bereits jetzt verändert, die Erderwärmung wird im Laufe des 21. Jahrhunderts den Gesundheitszustand in vielen Weltgegenden verschlechtern. Die Flüchtlingszahlen werden zunehmen, weil Fluten und schwerere Sturmfolgen die Menschen in die Flucht treiben. Wegen des Anstiegs des Meeresspiegels verlieren die Bewohner tief liegender Küstengebiete ihre Heimat. Abnehmende Fischereierträge vor allem in den Tropen und der Arktis entziehen Menschen die Nahrungsgrundlage, Dürren und Missernten bedrohen die Ernährungssicherheit. Die Erderwärmung wird im Laufe des 21. Jahrhunderts weltweit das Wirtschaftswachstum bremsen und den Kampf gegen die Armut behindern. Roland Emmerich war 2004 für seinen Klima-Katastrophenfilm „The Day After Tomorrow“ belächelt worden. Diesmal ist das Drehbuch aber von Wissenschaftlern geschrieben. Und wissenschaftlicher Konsens.
Der deutsche Winter ist ein gutes Beispiel. Außer einer kurzen Schnee- und Frostperiode blieb er 2014 komplett aus. Nach Auswertung der 2.000 Messstationen des Deutschen Wetterdienstes lag die Temperatur im Durchschnitt um 3,1 Grad Celsius über der Mitteltemperatur der Referenz 1961 bis 1990. In Nordamerika war es dagegen so kalt wie noch nie: In Montana fiel hier das Thermometer auf minus 51,7 Grad Celsius. Da war es am Südpol deutlich wärmer. Die Großen Seen im Mittleren Westen der USA froren zu, und selbst in Texas sanken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt – so kalt war es dort seit 100 Jahren nicht mehr gewesen.
Beides ist eine Folge der Erderwärmung. Vereinfacht ausgedrückt: Das abgetaute Arktiseis hat den Jetstream durcheinandergebracht. Dieser Wind im oberen Bereich der Troposphäre prägt unser Wetter erheblich. Ein durcheinandergeratener Jetstream bringt auch das Wetter zunehmend durcheinander: Die Flut in Pakistan 2012 riss fast 2.000 Menschen in den Tod, der Jetstream hatte den Regen nicht weiter getrieben. Es folgten über 1.000 Waldbrände in Russland. Hier fehlte der Regen. Und dass im April 2013 in Deutschland noch frostiger Winter war, lag auch am Jetstream: Damals erlebten wir, was dieses Jahr die Amerikaner durchleiden mussten.
Der Klimawandel ist also längst da. Deshalb müssen sich die Menschen an das sich dadurch ändernde Wetter anpassen, nicht nur in Afrika, in Pakistan oder Sibirien. Die NATURFREUNDiN zeigt einige Beispiele aus Deutschland und illustriert, was auf uns zukommt.
Nick Reimer
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 3-2014.
Beispiele aus Deutschland
Mecklenburg-Vorpommern sichert Trinkwasser für Trockenzeiten
Das Land Mecklenburg-Vorpommern will sein neues Landesraumentwicklungsprogramm nutzen, um Vorranggebiete zum Schutz der Wasserressourcen auszuweisen. Damit werden bisher noch nicht gesetzlich geschützte Trinkwasserreserven vor dem Hintergrund zunehmender Trockenperioden für die Zukunft gesichert. Die besten Ackerflächen des Landes sollen als Vorranggebiete für die Landwirtschaft vor Umnutzungen bewahrt werden. Die klimatischen Veränderungen werden dazu führen, dass Böden bester Güte zwingend gebraucht werden. Sie sollen deshalb insbesondere vor Versiegelung geschützt werden.
Das Erzgebirge sorgt sich um die Skisaison
„Was wird, wenn es immer nur regnet, statt zu schneien? Das ist schon ein Thema bei uns“, sagt Ulrike Engel von der Touristinformation im sächsischen Erzgebirge. Lagen hier in den 1970er Jahren noch an durchschnittlich 112 Tagen im Jahr mehr als zehn Zentimeter Schnee, waren es in den Neunzigern nur noch 94 Tage. Daran haben die Skilift-Besitzer schwer zu kauen. Nach Untersuchungen der Bergakademie Freiberg ist die Durchschnittstemperatur im Erzgebirge seit den 1950er Jahren bereits um zwei Grad Celsius gestiegen. Das Sächsische Landesamt für Umwelt und Geologie prognostiziert, dass es 2070 bis zu vier Grad wärmer ist – speziell im Winter.
Mediziner warnen vor neuen Krankheiten
„Bislang nicht heimische Insekten werden einige Mittelmeerkrankheiten nach Deutschland bringen“, sagt der Stuttgarter Infektologe Peter Kimmig. Die Heimat des Dornfingers zum Beispiel, einer Giftspinne, deren Bisse Ähnlichkeit mit den Stichen von Hornissen haben, lag ursprünglich in Südeuropa und Zentralasien. Immer häufiger wird das Insekt auch hierzulande gefunden. Es überträgt eine parasitäre Infektionskrankheit, die Leishmaniose, auch „Dum Dum Fieber“ oder „Bagdadbeule“ genannt. Darauf müsse sich das deutsche Gesundheitswesen zum Beispiel einstellen.
Bauherr Pönitz baut das Haus gegen den Klimawandel
Wer über das Morgen nachdenkt, der muss sich heute anpassen. Zum Beispiel wie Kai Pönitz: „Ich habe vor zehn Jahren zum ersten Mal etwas über die Erderwärmung gelesen“, sagt der Familienvater. Jetzt hat er sich im sächsischen Seifersdorf das Haus gegen den Klimawandel gebaut. Bei der Planung kalkulierte er zusätzliche Sicherheiten gegen Wetterextreme ein: Dachkonstruktion, Regenabfluss, Windbeständigkeit – Bauherr Pönitz schlug noch einmal 100 Prozent auf die gesetzlich vorgeschriebene Sicherheit drauf. Ein Dach, das unter der Schneemasse zusammenbricht – wie 2006 im bayerischen Bad Reichenhall – das soll ihm nicht passieren. „Wir haben deshalb unser Dach verstärkt und seine Neigung erhöht“, sagt Kai Pönitz. Von einem steileren Dach rutscht auch nasser Schnee runter.
Karlsruhe hat 50 strategische Maßnahmen entwickelt
Karlsruhe gehörte zu den ersten Kommunen in Deutschland, die ein Konzept zur Anpassung an den Klimawandel erarbeitet haben. 16 Handlungsfelder von der Gesundheit über die Energieversorgung bis zur Stadtentwässerung wurden untersucht, 50 strategische Maßnahmen festgelegt. Karlsruhe leidet schon heute häufig unter sommerlicher Hitze. 14 Prozent der Fläche sind bereits „bioklimatisch hoch belastet“. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten es 97 Prozent sein.
Schleswig-Holstein trotzt dem Blanken Hans
„Viel Tausend Menschen im Nordland ertrinken, viel reiche Länder und Städte versinken. Trutz, Blanke Hans“, hat Detlev von Liliencron 1882 in Erinnerung an den sagenhaften Untergang der reichen Stadt Rungholt in der Nordsee geschrieben. Das Leben am Meer ist schon immer gefährlich gewesen. Aber der Klimawandel hat noch eins draufgesetzt: Schleswig-Holstein hat deshalb bei seinen Deichverstärkungen – geplant sind sie bis zum Jahr 2025 – einen „Klimazuschlag“ vorgesehen. Damit soll ein Meeresanstieg bis maximal 1,40 Meter abgewehrt werden können. Das entspricht dem Horrorszenario des IPCC für die Nordsee.
Eine Versicherung trotzt dem Blanken Hans
„Die Zunahme der Naturkatastrophenschäden zählt zu den stärksten Indizien der globalen Umweltveränderungen, die der Mensch verursacht“, urteilt Munich Re, einer der weltgrößten Versicherungskonzerne. Höhere Fluten, extremere Trockenheiten, stärkere Orkane – die Frage, ob der Treibhauseffekt das Wetter verrückt gemacht hat, sei inzwischen zweifelsfrei beantwortet. Mit „Ja“. Das gilt für die Flutkatastrophe des Jahres 2002 (21 Tote in Deutschland, 11,5 Milliarden Euro Schaden), genauso wie für den Dürresommer 2003 (70.000 Hitzetote in Europa, davon allein 7.000 hierzulande, 10 Milliarden Euro Schaden) oder die Sommerflut von 2013 (12 Milliarden Euro Schaden, 180.000 Versicherungsfälle). Deshalb hat die Münchener Rück ein eigenes Geo-Risiko-Forschungszentrum eingerichtet, um Lösungen für die Versicherungswirtschaft gegen die steigenden Risiken zu erforschen.
Wuppertal-Institut: Höhere Deiche allein reichen nicht
Der Klimaexperte Hermann Ott spricht das Unpopuläre aus: Wenn nicht schleunigst mehr gegen die Erderwärmung unternommen wird, haben am Meer gelegene Städte wie Rostock, Hamburg oder Kiel keine Zukunft. „Natürlich kann man eine Zeit lang immer höhere Deiche bauen“, sagt der Wissenschaftler vom Wuppertal-Institut. Irgendwann aber werde das zu teuer, auf lange Sicht müssten die Städte aufgegeben werden. „Natürlich ist das ein Horrorszenario. Und natürlich wäre das noch abwendbar. Aber dafür müssten Stralsunder, Kieler, Hamburger jede Woche für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen. Und selbst mit dem Klimaschutz beginnen.“
Lübeck setzt auf Naturwald
Die Forstwirtschaft wird sich schneller anpassen müssen als andere Formen der Naturnutzung, wenn in 100 Jahren noch gesunde Wälder wachsen sollen. Gefragt sind Bäume, die wärmeres Klima lieben und gleichzeitig auch Starkregen aushalten können. Der Wald der Zukunft muss die Biodiversität bewahren, Daseinsvorsorge betreiben, Energie liefern und finanzielle Überschüsse erwirtschaften. Naturwald kann das besser als der traditionelle Wirtschaftswald. Der Naturwald der Hansestadt Lübeck wird seit Langem auf den Klimawandel vorbereitet. Der Grund ist einfach: weniger Eingriffe, natürliche Produktionsabläufe, geringere Schäden für Boden, Humus und Wuchskraft der Bäume.
Hamburg will Grün- und Sportanlagen fluten
2003 ging in Hamburg ein Platzregen nieder: Binnen 30 Minuten fielen 26 Millionen Kubikmeter Wasser, so viel wie nie zuvor in so kurzer Zeit. „Außerhalb unserer Statistik“, sagt Christian Günner über das Ereignis, welches dem Abteilungsleiter Grundlagen- und Systementwicklung der hanseatischen Stadtentwässerung die Augen öffnete: „Ein Abwassernetz zu bauen, das solche Wassermassen aufnehmen kann – völlig unrealistisch.” Ab 21 Millimetern Regen sind Hamburgs Röhren nach zwei Stunden dicht. „Wir sind auf jeden Fall in so einer Phase, wo es immer stärker regnet“, hat Günner festgestellt. Immer mehr Wasser in kürzeren Zeiträumen, dazu immer mehr versiegelte Flächen: Gönner will jetzt „unkonventionelle Wege“ gehen und Teile Hamburgs für gezielte Überflutungen freigeben; Grün- und Sportanlagen etwa, die sich bei starkem Regen in Seen verwandeln sollen.
Eckart Kuhlwein/Nick Reimer
Diese Beiträge sind zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 3-2014.
Nach der Flut ist vor der Flut
Sachsen hat innerhalb der letzten Jahre drei schwere Hochwasser erlebt. Gemeinsam mit dem Herbert-Wehner-Bildungswerk diskutieren die NaturFreunde Sachsen bei einer öffentlichen Umweltkonferenz am 27. September in Dresden, was aus den Ereignissen gelernt wurde und wie ein nachhaltiges Hochwasserschutzkonzept für Sachsen aussehen muss.
Tilmann Schwenke
Dieser Beitag ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 3-2014.