Ein breites Bündnis von Nichtregierungsorganisationen hat ein Positionspapier zum "Transatlantischen Freihandels- und Investitionsabkommen" (TTIP) formuliert, in dem seine Auswirkungen analysiert und Forderungen an eine transatlantische Partnerschaft formuliert werden, die den Zielen einer sozial-ökologischen Transformation entsprechen:
„TTIP“ nein danke! - Transatlantische Partnerschaft geht anders
Positionspapier deutscher Nichtregierungsorganisationen zum geplanten Freihandels- & Investitionsabkommen EU – USA (TTIP)
Die Regierungen der EU und der USA planen das »Transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen« (TTIP). BMW und Monsanto freuen sich; auch Deutsche Bank und JP Chase Morgan, BASF und Google, Bertelsmann und ExxonMobil. Doch brauchen die Menschen in der EU, den USA und im Rest der Welt wirklich einen großen, de-regulierten transatlantischen Markt? Eine Antwort auf die eigentlichen Fragen gibt TTIP nicht: Wie wollen wir leben? Was ist ‚gutes Leben‘ ohne die Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt? Wie können wir in den ökologischen Grenzen des Planeten wirtschaften und dabei gute, fair bezahlte Arbeit sichern? Wie können wir Ernährungssouveränität für alle erreichen?
Schon jetzt stecken wir in ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen. Wir erleben viel zu wenig - nicht zu viel – Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Finanzmarktkontrolle. Wir erleben zu wenig − nicht zu viel − solidarisches Wirtschaften, Schutz kleinbäuerlicher und gemeinwohlorientierter (Land-)Wirtschaft sowie wirksamen Verbraucher-, Daten- und Rechtsschutz gegenüber den Geschäftsinteressen internationaler Konzerne.
Mit dem TTIP-Abkommen versprechen Wirtschaftsvertreter in der EU und den USA mehr Wachstum. Sie wollen mehr Handelsströme und mehr Marktfreiheit für Unternehmen. In der Realität kann das aber bedeuten: Gentechnik-Lebensmittel und Hormonfleisch landen ungekennzeichnet auf unseren Tellern. Die jüngsten Fortschritte bei der Finanzmarktregulierung werden zurückgenommen. Arbeitnehmerrechte werden ausgehöhlt. Das geplatzte ACTA-Abkommen zum Urheberrecht kommt durch die Hintertür erneut − Meinungsfreiheit und Datenschutz bleiben auf der Strecke. Nur die niedrigeren Verbraucherschutz- und Umweltstandards bleiben übrig. Bundesregierung und EUKommission setzen auf Geheimverhandlungen unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit
und der Parlamente.
Wir wollen:
Demokratie und Transparenz: Statt Geheimverhandlungen braucht es eine breite öffentliche Diskussion um ein soziales und ökologisches Verhandlungsmandat auf beiden Seiten. Hierzu müssen umfassende und aktuelle Informationen und der vollständigen Einblick in alle Verhandlungsdokumente für die Öffentlichkeit und Parlamente gewährleistet sein. Der Einfluss von Wirtschaftslobbyisten muss zurückgedrängt werden. Zudem muss die Kommission eine umfassende Nachhaltigkeitsprüfung von unabhängiger Seite durchführen lassen.
Rechtschutz für Menschen – statt privilegierte Klagerechte für Konzerne: Wir lehnen es ab, dass internationale Konzerne eigene Sonderklagerechte gegen demokratisch beschlossene Gesetze bekommen. Die sogenannte Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit unterläuft grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats.
Erhaltung und Ausbau europäischer Umweltpolitik statt ihrer Unterordnung unter die Freihandelslogik: Kernprinzipien des Klima- und Umweltschutzes, so wie sie 1992 in Rio aufgestellt wurden, sind das Vorsorge- wie auch das Verursacherprinzip. Diese Prinzipien sind Bestandteil des europäischen Umweltrechts. Wenn von Produkten oder Technologien Risiken ausgehen können, dann müssen diese Risiken vorausschauend vermieden werden. Im TTIP aber sollen auf Druck von US-Exportinteressen bereits bestehende wie geplante Regeln, die diesen Prinzipien folgen, zum Handelshemmnis erklärt werden. Ein besonderer Dorn im Auge der US-Lobbygruppen sind v.a. die in ihren Augen zu langsame Zulassung und die Kennzeichnung von Gentechnik-Lebensmitteln in Europa. Aber auch die Weiterentwicklung der EU-Chemikalienverordnung REACh und der EURO-Norm für Auto-Emissionswerte wie auch die EU-Strategie zur Begrenzung der von Kunststoffen ausgehenden Umweltgefahren laufen den US-Exportinteressen zuwider.
Das Vorsorgeprinzip muss daher bei politischen Entscheidungen auf jeden Fall beachtet werden. Dies gilt insbesondere für Risiko-Techniken wie der Gas-Gewinnung mittels »Fracking«. Dies verbraucht enorme Flächen- und Wassermengen, birgt neue Risiken fürs Grundwasser und konterkariert zudem die politisch beschlossenen Klimaschutzziele. Wir brauchen eine klima- und ressourcenschonendere und gerechtere Wirtschaftsweise auf beiden Seiten des Atlantiks. Verbote sind dafür genauso erforderlich wie Steuern und Zölle für besonders schädliche Verfahren. Das ist mit der TTIPFreihandelslogik
nicht zu vereinbaren. Die niedrigsten Standards dürfen nicht zur Richtschnur werden.
Kleinbäuerliche und umweltgerechte Landwirtschaft schützen: Bauern und Verbrauchern in Europa bringt TTIP keine Vorteile. Bei TTIP geht es nur untergeordnet um mehr Handel. Im Wesentlichen will die Agrarindustrie auf beiden Seiten des Atlantiks durch TTIP industrielle Standards durchsetzen. So darf in den USA Klon- und Hormonfleisch verkauft werden wie auch die Milch von Kühen, die mit gentechnisch erzeugtem Wachstumshormon behandelt wurden. Geflügelfleisch wird in den USA mit Chlor behandelt, für gentechnisch veränderte Pflanzen gibt es weder ein durchgängiges, stringentes Zulassungsverfahren noch eine Kennzeichnungspflicht. Gentechnisch veränderter Lachs steht vor der Zulassung. Auch das Patent- und Haftungsrecht unterscheidet sich in beiden Handelszonen an vielen Stellen. All diese Themen stehen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der geheim gehaltenen Verhandlungsliste. Statt noch mehr „Wachsen oder Weichen“ gilt es, die kleinbäuerliche und ökologische Landwirtschaft zu schützen. Eine bäuerliche und zukunftsfähige Landwirtschaft braucht ein faires Handelssystem, das die Interessen gerade kleiner Bäuerinnen und Bauern berücksichtigt und nicht die Interessen der Agrarindustrie bedient.
Hohe Verbraucher- und Gesundheitsstandards: Die strengeren europäischen Standards müssen Grundlage aller Verhandlungen sein. Sie dürfen weder abgesenkt noch durch eine gegenseitige Anerkennung US-amerikanischer und europäischer Standards unterlaufen werden. Zudem ist eine umfassende Kennzeichnungspflicht von Inhaltsstoffen und Herstellungs- und Behandlungsmethoden zwingend – auch für verarbeitete Produkte.
Arbeits- und Menschenrechte durch klare und durchsetzbare Regelungen verbindlich schützen: Der Öffentlichkeit wird TTIP als Motor für die Schaffung von Arbeitsplätzen verkauft. Dabei haben bestehende Freihandelsabkommen wie der NAFTA-Vertrag zwischen den USA, Kanada und Mexiko eher das Gegenteil bewirkt. Gewerkschaften beklagen Arbeitsplatzverluste in der Industrie, sinkende Löhne, Unterlaufen vor Arbeitsmindeststandards und wachsende Einkommensunterschiede als Folge des Freihandels, indem Arbeitsstandards an das jeweils niedrigere Niveau angeglichen werden. In der EU sind Massenarbeitslosigkeit, Druck auf Löhne und die Ausweitung prekärer Beschäftigung die Folgen schwacher Sozialstandards im liberalisierten Binnenmarkt. Dies ist kein Modell für eine transatlantische Freihandelszone.
Internationale Solidarität und Kooperation statt immer mehr Wettbewerbsdruck. Mit dem TTIP wollen EU und USA ihre globale Vormachtstellung absichern. Aufstrebende Schwellen- und Entwicklungsländer sollen durch das Abkommen Marktanteile verlieren. Damit wird Entwicklungspolitik untergraben.
Schutz und Ausbau öffentlicher Dienstleistungen statt weiterer Deregulierungsoffensive. Essentielle Dienstleistungen der Daseinsvorsorge – z.B. in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wasser, Energie oder Verkehr – dürfen nicht privatisiert werden. Sie müssen für alle zugänglich sein und hohen qualitativen, sozialen und umweltpolitischen Standards genügen. Den dazu nötigen Gestaltungsspielraum auf nationaler und kommunaler Ebene drohen die TTIP Verhandlungen weiter zu beschneiden –mehr Druck in Richtung Privatisierung ist zu erwarten.
Schutz und Förderung der Vielfalt kulturellen Ausdrucksformen statt weiterer Liberalisierung. Die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen sichert beispielsweise Film-, Theater, Orchester- und weitere Kulturförderung sowie den öffentlichrechtlichen Rundfunk mit seinen Landesprogrammen. Dieser Gestaltungsraum wird durch die TTIP Verhandlungen zur Disposition gestellt.
Regulierung des Finanzsektors und Abbau ökonomischer Ungleichgewichte statt mehr Deregulierung und Freihandel. Die Deregulierung der Finanzmärkte und ökonomische Ungleichgewichte innerhalb der EU infolge von Lohnkonkurrenz sind eine wesentliche Ursache der europäischen Wirtschaftskrise. Mit TTIP sollen Finanzdienstleistungen noch weiter dereguliert werden. Die politische Macht der Finanzindustrie würde gestärkt, Lohn- und Steuerdumping und damit sinkende Einnahmen der öffentlichen Haushalte wären die Folge.
Innovationen, Bildung und Informationsfreiheit statt noch mehr Exklusivrechte an „geistigem Eigentum“ der Konzerne: Schützbares „geistiges Eigentum“ findet sich in vielen Sektoren – Technologien, Pharmaprodukte, Saatgut, Filme und Musik. Unter dem Vorwand, die Urheber zu schützen gängeln die großen Verlage, Labels und Medienkonzerne die Nutzer von Kultur und Information immer stärker. Wissenschaft und Bildung werden behindert, immer mehr Werke verwaisen und gehen endgültig verloren, weil ihre Digitalisierung nicht erlaubt wird. Wir brauchen einen fairen Interessenausgleich zwischen Urhebern, Nutzern und Verwertern! 2012 wurde das ACTA-Abkommen von einer Welle der öffentlichen Empörung gestoppt– der Medienindustrie hätte es umfangreiche Monopolrechte und die Kontrolle des Internets beschert. TTIP ist ein neuer Anlauf, diese Monopolrechte einzuführen.
Regionale Wirtschaftskreisläufe stärken: Die EU drängt auf eine weitreichende Deregulierung des öffentlichen Beschaffungswesens und will Vorschriften vieler amerikanischer Bundesstaaten oder Städte zu lokalem Einkauf beseitigen. Damit wären auch europäische Regelungen zum nachhaltigen oder regionalen Beschaffungswesen gefährdet. Die eigene Region gezielt zu stärken oder soziale und ökologische Ziele zu berücksichtigen, muss weiterhin möglich bleiben.
Wir rufen daher alle interessierten Menschen und Organisationen auf, sich aktiv an der Debatte um dieses neue Abkommen zu beteiligen! Machen wir – zusammen mit unseren Freundinnen und
Freunden in Europa und den USA − den PoliNkern und Wirtschaftskapitänen deutlich, dass Freihandels- und Investorenschutz-Rezepte aus dem 20. Jahrhundert keine Lösung für die aktuellen Herausforderungen sind. Eine transatlantische Partnerschaft für die sozial-ökologische Transformation, die wir im 21. Jahrhundert so dringend brauchen, sieht ganz anders aus! Auch in den USA und anderen Ländern der EU regt sich der Widerstand gegen dieses geplante Abkommen – gemeinsam werden wir es stoppen!
Unterzeichnende Organisationen:
- Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)
- Agrar-Koordination
- Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall Berlin
- Attac
- Berliner Wassertisch 1
- Berliner Wassertisch 2
- Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) e.V.
- Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW)
- BUND − Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
- Bündnis für eine gentechnikfreie Landwirtschaft in Niedersachsen, Bremen, Hamburg
- Campact
- Christliche Initiative Romero e.V.
- DNR – Deutscher Naturschutzring e.V.
- FDCL – Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V.
- Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS)
- Forum Umwelt und Entwicklung
- Gen-ethisches Netzwerk e.V.
- Global Marshall Plan Initiative
- INKOTA-netzwerk e.V.
- Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut)
- Interessengemeinschaft Nachbau (IG Nachbau)
- Kampagne „Meine Landwirtschaft“
- KLJB – Bundesverband der Katholische Landjugendbewegung Deutschlands e.V.
- klima-allianz deutschland
- Korbacher Resolution gegen Fracking
- Der Lindentaler – Leipziger Tauschring
- Mehr Demokratie e.V.
- NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V.
- NaturFreunde Deutschlands
- PAN Germany – Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.
- PowerShift e.V.
- Save our Seeds
- Slow Food Deutschland e.V.
- Umweltinstitut München
- Vereinigung für Ökologische Ökonomie
- WEED
- Zukunft Irular
- Zukunftsstiftung Landwirtschaft