Unser Bild von Landwirtschaft ist stark von Kinderbüchern geprägt: Ein Bauer steht in Gummistiefeln zwischen einem Schwein, zwei Kühen, drei Hühnern und einem Feld mit Kohlköpfen, während die Bäuerin aus dem Küchenfenster schaut. Einfach schön. Doch die Realität ist längst eine andere: Nicht die kleinbäuerliche Landwirtschaft produziert unsere Lebensmittel, sondern Großkonzerne, die mit Agrarchemie die Böden überdüngen und mit Bioziden die Bienen an den Rand des Aussterbens bringen. Die fehlgeleitete Landwirtschaftspolitik erzeugt massenhaft Probleme für Natur und Umwelt.
Ammoniak – der unbekannte Luftschadstoff
Grenzwerte für Kohlenmonoxid, Feinstaub oder Schwefelverbindungen kennt man. Aber Ammoniak? Etwa 95 Prozent dieses Luftschadstoffs entstehen in Deutschland in der Landwirtschaft, vorwiegend aus der Rinderhaltung (52 Prozent), der Schweinehaltung (20 Prozent), der Mineraldüngeranwendung (15 Prozent). Vier Prozent stammen aus Industrie und Verkehr.
Ammoniak – Summenformel NH3 – schädigt Ökosysteme erheblich durch Versauerung und Überdüngung von Gewässern, die zu übermäßigem Wachstum von Wasserpflanzen führt, den Gewässern Sauerstoff entzieht und schließlich das aquatische Leben tötet. „National Emission Ceilings Directive“ nennt sich die EU-Richtlinie über nationale Emissionsgrenzwerte für bestimmte Luftschadstoffe. Nach dieser muss Deutschland seine Ammoniakemissionen bis zum Jahr 2020 um fünf Prozent gegenüber dem Jahr 2005 senken. Im Jahr 2030 muss die Reduktionsmenge dann 29 Prozent unter dem Wert von 2005 liegen.
Doch statt zu sinken, ist die Menge des Ammoniaks in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik kontinuierlich gestiegen: Von 572.000 Tonnen im Jahr 2005 auf 704.000 Tonnen 2014, ursprünglich vorgeschrieben war ein Zielwert von 550.000 Tonnen im Jahr 2010. Schuld daran ist die Massentierhaltung. Die Ammoniak-Luftkonzentration ist in Niedersachsen und Oberbayern am größten, dort wo die Konzentration der Tierfabriken am höchsten ist. Die Landwirtschaft ist zu etwa 95 Prozent Hauptverursacher des „unbekannten“ Luftschadstoffes.
Artenschwund – wenn der Feldrain fehlt
Leise und unauffällig sterben sie: Insekten, Reptilien, Pflanzen und Vögel. Vor unserer Haustür findet ein dramatisches Artensterben statt. Einer der Hauptschuldigen ist die intensive Landwirtschaft mit ihrem massenhaften Einsatz von Chemie, den riesigen Monokulturen und der Zerstörung von Lebensräumen. Zum Beispiel die Feldraine: Früher waren viele Feld-Randstreifen mit Hecken, Bäumen oder wiesenartiger Vegetation bewachsen. Seit dem Einsatz von Landmaschinen wurden die Felder aber immer größer, die Feldraine verschwanden. Und damit der Lebensraum für Feldkräuter, Wespenspinnen oder Rebhühner.
Schmetterlinge, Wiesenkerbel oder die Lerche werden aber auch durch Monokulturen auf den Äckern bedroht: beispielsweise durch riesige Maisschläge, die vielerorts das Landschaftsbild prägen. Mais ist für bestäubende Insekten wertlos, er bietet für Insekten keine Nahrung. Kein Buschwindröschen, kein Kiebitz, nicht mal mehr ein Regenwurm: Dass diese großindustriellen Landschaften nicht schön sind, ist nur ein schwacher Vorwurf an die Bauern. Stärker wiegt: Diese Art der Landwirtschaft tötet.
Von den rund 48.000 heimischen Tierarten, den 9.500 Pflanzen- und 14.400 Pilzarten in Deutschland stehen 32.000 auf der Roten Liste. Der Artenschutzreport des Bundesamtes für Naturschutz listet auf, wie gefährdet diese sind: 46 Prozent sämtlicher Arten sind nur noch selten anzutreffen, vom Aussterben bedroht oder für immer verschwunden.
Lachgas – wie die Landwirtschaft den Klimawandel anheizt
Landwirtschaft ist in Deutschland Hauptverursacher der Treibhausgase Methan- und Lachgas. Wiederkäuer wie Rinder und Schafe produzieren bei der Verdauung große Mengen Methan, 23-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid. Lachgasemissionen entstehen vor allem auf intensiv genutzten Ackerflächen als Folge der Düngung. Wird zu viel Stickstoff zur falschen Zeit ausgebracht, kann er von den Nutzpflanzen nicht vollständig aufgenommen werden und heizt dann das Treibhaus weiter an: Lachgas ist sogar 310-mal klimaschädlicher als CO2.
Im Jahr 2017 ist die Treibhausgasproduktion in Deutschland wieder nicht gesunken. Gemäß der Nahzeitprognose war die Bundesrepublik für 906 Millionen Tonnen Treibhausgase verantwortlich – so viel wie 2009. Neben dem Verkehrsbereich ist dafür unter anderem auch die Landwirtschaft verantwortlich, die seit Jahren beim Klimaschutz stagniert. Zwischen 6 und 7,5 Prozent der deutschen Treibhausgase stammen aus dem Agrarsektor. Andererseits gehören die Bauern bereits morgen zu den Opfern des Klimawandels.
Bewahrheiten sich die Prognosen, dass die Sommer zukünftig heißer und trockener werden, würden gerade dann die Niederschläge fehlen, wenn der Landwirt sie am dringendsten benötigten. Zudem sorgen Extremwetterereignisse wie Hagelschlag, schwere Gewitter oder Orkane bereits heute dafür, dass die Bauern immer häufiger Ernteeinbußen beklagen müssen.
Pestizide – Chemie auf dem Acker
Nach Erhebung des Umweltbundesamtes werden in Deutschland jährlich 8,8 Kilogramm „Pflanzenschutzmittel“ pro Hektar eingesetzt – Spitzenwert in Europa. 2015 gelangten insgesamt 123.203 Tonnen Pflanzenchemie in die deutsche Landschaft – davon allein 50.683 Tonnen Herbizide, um alles florale Leben auf dem Acker zu vernichten – außer eben Mais, Gerste oder Kartoffeln. Trotzdem werden Herbizide fälschlicherweise als „Pflanzenschutzmittel“ bezeichnet – das bekannteste ist Glyphosat, das im Verdacht steht, Krebs zu erregen. Hierzulande wurden 2015 zudem 5.007 Tonnen Insektizide versprüht, die korrekt als „Insektenvernichtungsmittel“ bezeichnet werden müssen und nicht nur Agrarschädlinge töten, sondern auch Libellen, Käfer, Grillen, Netzflügler.
2015 kamen 35.472 Tonnen Fungizide aufs Feld, um Pilze abzutöten. Dazu sprühten die Landwirte Virizide, Akarizide, Bakterizide … mit verheerenden Auswirkungen auf die Natur. Der massive Einsatz führte zu einer Verarmung der Pflanzenwelt. Dadurch verloren viele Wildtiere ihre Nahrungsgrundlage. Insektenvernichtungsmittel setzen besonders den Populationen der Wildbestäuber zu, Wildbienen oder Hummeln zum Beispiel, deren Dienst an der Umwelt unersetzbar ist.
Einer im vergangenen Herbst veröffentlichten Studie zufolge nahm die Masse der Fluginsekten um über 75 Prozent gegenüber jener Zeit ab, in der die Landwirtschaft Chemie noch nicht so massiv auf den Äckern ausbrachte. Mit dem Rückgang der Insekten verloren etliche Vogelarten ihre Lebensgrundlage, die ganze Ernährungskette geriet aus dem Takt.
EU-Agrarpolitik – Motor der Massenproduktion und Ursache vieler Probleme
Um der Landwirtschaft nach den Kriegswirren auf die Beine zu helfen, gründeten die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1957 die „Gemeinsame Agrarpolitik“ – abgekürzt: GAP. Das Ziel war vereinfacht, Mindestpreise für Agrarprodukte festzulegen und den Bauern die Abnahme ihrer Erzeugnisse zu diesen Preisen zu garantieren. So sollte der Hunger in der EU für immer besiegt werden. Also produzierten die Bauern auf Teufel komm raus, soviel sie nur konnten. Das Aufkaufen kostete natürlich einiges, Mitte der 1980er-Jahre gingen zwei von drei Mark aus dem EU-Topf in die Landwirtschaft. Ebenfalls eine Folge waren Butterberge und Milchseen – die EU-Politik hatte ihr Ziel da schon längst erreicht. Allerdings wirkte sich diese Überproduktion negativ auf Umwelt und Natur aus.
Die EU reagierte im Jahr 1992 mit der „MacSharry-Reform“: Die Preisstützungen wurden gekürzt, fortan eine flächengebundene Preisausgleichszahlung eingeführt. Diese Entwicklungen ebneten den Weg für die heutige Struktur der „Gemeinsamen Agrarpolitik“, einer Politik, die einen pflegenden Umgang des Bauern mit der Umwelt nicht belohnt, sondern bestraft. Deshalb forderten im Januar mehr als 30.000 Demonstranten auf der „Wir haben es satt“-Demonstration in Berlin einen Umbau hin zu einer „umwelt-, tier- und klimafreundlichen Landwirtschaft, in der Bauern gut von ihrer Arbeit leben können.“