"1,5 Grad heißt: abschalten, dämmen und einsparen"

Der neu gewählte DNR-Präsident Kai Niebert über die Konsequenzen des Pariser Klimaschutzabkommens

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Es ist ein historischer Beschluss, den die Weltgemeinschaft auf dem Pariser Klimagipfel  im Dezember letzten Jahres gefasst hat: Die Aufheizung der Atmosphäre soll auf möglichst 1,5  Grad begrenzt werden. Da die globale Durchschnittstemperatur seit Beginn der Industrialisierung bereits um knapp ein Grad gestiegen ist, bleibt nur noch ein halbes Grad übrig.

Das bedeutet: Die Menschheit kann beim heutigen Wachstumstempo theoretisch noch 14 Jahre genauso weitermachen wie bisher und klimaschädliche Gase produzieren. Ab dem Jahr  2030 müssten die Kohlendioxid-Emissionen dann schlagartig auf Null gefahren werden.

Prof. Dr. rer. nat. Kai Niebert leitet zurzeit den Lehrstuhl für Didaktik der Naturwissenschaften und der Nachhaltigkeit an der Universität Zürich und ist zudem Gastprofessor an der Fakultät Nachhaltigkeit der Leuphana Universität Lüneburg. Von 2005 bis 2011 war Niebert Bundesjugendleiter der Naturfreundejugend Deutschlands, im März 2011 wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands. Ab 2008 vertrat Niebert, der seit seiner Geburt durchgehend NaturFreunde-Mitglied ist, die Jugendumweltverbände im DNR-Präsidium. 2012 wurde er als Beisitzer in das Präsidium des Deutschen Naturschutzrings gewählt.

So wird es aber nicht funktionieren. Stattdessen muss die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas sofort reduziert und bis zum Jahr 2050 komplett gestoppt werden. Global und ohne Ausnahme, sonst ist das 1,5-Grad-Ziel nicht haltbar. 

Die Konsequenzen für Deutschland
Der Wirtschaftsminister muss sämtliche sich in Planung und im Bau befindlichen Kohlekraftwerke stoppen. Denn neue Kraftwerke würden mit ihrer Laufzeit von mehr als 40 Jahren auch nach dem Jahr 2050 noch Kohlendioxid ausstoßen und Deutschland den Pariser Vertrag verletzen.

Die vom Wirtschaftsministerium vorgeschlagenen Ausbauziele für Erneuerbare reichen nicht aus. Bei dem vorgegebenen Tempo wären wir erst in 56 Jahren bei 100 Prozent Erneuerbaren. Nur bei einer Verdopplung der Ausbaugeschwindigkeit der erneuerbaren Energien ist der Klimawandel zu stoppen.

Der Verkehrsminister muss die Automobilindustrie dazu bringen, dem Öl den Rücken zu kehren. Denn 20 Prozent des Klimawandels gehen auf den Verkehr. Eine Verkehrswende mit einer Anhebung der Mineralölsteuer ist genauso überfällig wie eine deutliche Reduzierung des Energiebedarfs im Personen- und Güterverkehr. Wir dürfen nicht mehr über 120 oder 130 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer reden. Seit Paris geht es um null Gramm pro Kilometer.

Der Landwirtschaftsminister – immerhin verantwortlich für 20 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen – muss die Landwirtschaft ergrünen lassen. Wir brauchen eine regenerative Landwirtschaft, die den Kohlenstoff aus der Atmosphäre holt, statt ihn hineinzupusten. Dies betrifft insbesondere eine Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik nach dem Prinzip „Geld gegen Leistung“ durch Umschichtung der Agrarsubventionen in zielgerichtete Agrarumweltmaßnahmen.

Die Umweltministerin, die auch Bauministerin ist, muss sich ermutigt fühlen, die klima- und menschenfreundliche Stadtgestaltung ins Zentrum ihres Handels zu rücken. Wir brauchen nicht nur eine Energiewende zum Heizen der Häuser, sondern wir müssen Städte im Klimawandel insgesamt neu denken.

Dazu kommt: Die im Pariser Klimavertrag formulierten Selbstverpflichtungen der Staaten reichen bei Weitem nicht aus, um den Klimawandel zu bremsen. Denn mit diesen Absichtserklärungen steuert die Menschheit eher auf ein 3-Grad- statt ein 1,5-Grad-Ziel zu. Auch Deutschland wird seine freiwillige Selbstverpflichtung, nämlich den Kohlendioxid-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken, deutlich verfehlen, wenn Ministerpräsidenten und Wirtschaftspolitiker weiter an der Kohle festhalten.

Der Klimawandel zeigt: Es war ein Fehler, eine Idee von Nachhaltigkeit zu akzeptieren, in der Ökologie, Ökonomie und Soziales scheinbar gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Immer wenn es ernst wird, drängt das Streben nach Wirtschaftswachstum die Umwelt und den Menschen an den Rand.

Wirtschaft innerhalb planetarischer Grenzen
Wir müssen Nachhaltigkeit verstehen als ein Wirtschaften, das den Menschen heute und morgen dient. Aber das kann und darf nur innerhalb der planetarischen Grenzen stattfinden. Um diese einzuhalten, muss es mit dem Abschalten und Einsparen heute los gehen.

Kai Niebert
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der NATURFREUNDiN 1-2016.