Warum die Friedensbewegung wieder stärker wird

Von Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands

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Die Zeiten der Hochrüstung und Militarisierung der Politik sind zurück. Wie das schwedische Friedensforschungsinstituts Sipri in seinem neuesten Bericht mitteilte, sind die weltweiten Rüstungsausgaben im Jahr 2020 erneut angestiegen auf mittlerweile fast zwei Billionen US-Dollar. Das ist eine Zahl mit zwölf Nullen. 39 Prozent davon entfallen auf die USA, 56 Prozent auf die NATO-Staaten insgesamt. Deutschland hat die siebthöchsten Rüstungsausgaben aller Staaten weltweit und die höchsten Zuwachsraten in der Spitzengruppe der ersten 15 Länder.

An der Veröffentlichung der Sipri-Zahlen waren hierzulande auch die NaturFreunde beteiligt. Denn unser Verband hat eine enge Verbindung zur Friedensbewegung in Deutschland. Zu unseren Mitgliedern gehörten unter anderem Georg Elser, der erste Attentäter auf Adolf Hitler, sowie der Friedensnobelpreisträger Willy Brandt. Die ersten Ostermärsche wurden von der Naturfreundejugend organisiert und ab 12. Mai planen die NaturFreunde Deutschlands eine große Friedenswanderung bis an den Bodensee.

Tatsächlich wird die Friedensbewegung heute wieder stärker. Das liegt daran, dass die Aufrüstung wieder zunimmt. Doch es gibt auch einen neuen Zugang angesichts der Globalisierung sozialer und ökologischer Konflikte. Vier zentrale Gründe sprechen für eine stärkere Friedensbewegung:

  1. Schon in rund 20 Jahren wird bei etwa 1,5 Grad Celsius die erste kritische Grenze der globalen Erwärmung erreicht sein, irreversible Kipppunkte im globalen Klimasystem drohen. Das ist wahrscheinlich schon nicht mehr zu verhindern, denn das Klimasystem hat eine Anpassungsfrist von vier Jahrzehnten. Wir erleben derzeit die Folgen der Emissionen der 1980er-Jahre. Die Welt steht vor gewaltigen Herausforderungen und braucht deshalb Abrüsten, Entspannung und eine aktive Friedenspolitik, damit sie nicht in neuer Gewalt und erbitterten Verteilungskämpfen untergeht.
  2. Die heutige Aufrüstung ist eine Politik von gestern: perspektivlos und geprägt von einem Freund-Feind-Denken. Tatsächlich sind wir in einer Situation der Zuspitzung. Es gibt nur die Alternative, entweder zu einer nachhaltigen Welt zu kommen oder das Gewaltpotenzial – insbesondere durch atomare Nachrüstung – weiter zu erhöhen. Letzteres erleben wir heute.
  3. Die hohen, steigenden Militärausgaben führen zu gewaltigen Verteilungskonflikten. Deutschland ist zum zweiten Mal hintereinander das Land mit dem höchsten prozentualen Zuwachs unter den ersten 15 Ländern bei der Rüstung. Mehr noch: Die Pandemie wird uns die Rechnung knapper öffentlicher Kassen präsentieren, denn durch die steigenden Ausgaben nimmt der Druck zur Kürzung der Mittel für Soziales, Bildung und Kultur zu, zumal das unsinnige Zwei-Prozent Ziel verfolgt wird. Mit ihm würde Deutschland weltweit auf Platz fünf aufsteigen: das Land mit den höchsten Militärausgaben in Europa.
  4. Nichts scheint schwerer zu sein als umzudenken. Dabei gibt es eine Alternative, die im April 2022 sogar 40 Jahre alt wird: das Konzept der gemeinsamen Sicherheit. Entstanden unter den Bedingungen der Blockkonfrontation ist es heute, angesichts der Globalisierung der ökologischen und sozialen Konflikte, wichtiger denn je. Globale Herausforderungen verlangen globale Regeln. Die falsche Prioritätensetzung auf Konfrontation und Nationalismus muss umgehend beendet werden.

Wir leben in einer Welt, in der Sicherheit schon lange nicht mehr nur militärisch und vor allem nicht einseitig definiert werden darf. Bei Olof Palme hieß das: „Beide Seiten müssen Sicherheit erlangen, nicht vor dem Gegner, sondern gemeinsam mit ihm. An die Stelle der Zwillinge von Aufrüstung und Abschreckung muss Gemeinsame Sicherheit treten.“ Zumal in einer Zeit, in der die Waffensysteme und ihre Overkill-Kapazitäten mit keiner geschichtlichen Erfahrung zu vergleichen sind.

Das historische Friedensprojekt Europa braucht keine „Großraum-Ideologie“, sondern muss Vorreiter der Gemeinsamen Sicherheit werden, wie dies auch in der Charta von Paris von 1990 verankert ist. In den 1980er-Jahren war die Suche nach Gemeinsamkeit auch das Konzept der UNO. Heute, wo die doppelte Gefahr der militärischen wie ökologischen Selbstvernichtung der Zivilisation besteht, ist es wichtiger denn je.

Die Friedensbewegung braucht neue Stärke. Wir NaturFreunde werden uns deshalb aktiv in den Bundestagswahlkampf einmischen. Abrüstung ist das Gebot unserer Zeit, das nicht länger verdrängt werden darf. Dafür ist ein breites gesellschaftliches Bündnis notwendig. Gut ist, dass in der Initiative Abrüsten statt Aufrüsten die Friedensbewegung, Umweltorganisationen, Fridays for Future, Sozialverbände, Gewerkschaften, Wissenschaft, Kulturrat, Entwicklungsorganisationen, Bundesjugendring und Kirchenvertreter zusammenarbeiten.

Unser Land und Europa braucht wieder eine starke Friedensbewegung wie in den 1980er-Jahren.

Michael Müller
Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands