Deutschland hat endlich abgeschaltet

Am 15. April endete die kurze, aber teure Episode der Atomenergie

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Am 15. April 2023 gingen die drei Atomreaktoren Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 endgültig vom Netz. Damit endete die kurze, aber sehr teure Episode der Atomenergie in Deutschland. Auch wenn der Atomstrom im vergangenen Jahr nur noch 6,4 Prozent zum deutschen Strommix beigetragen hat, werden die Folgen der Atomenergie unser Land noch lange belasten. Rund eine Million Jahre muss der hoch radioaktive Müll sicher verwahrt werden. Doch bisher ist noch nicht einmal ein Endlager gefunden worden.

Alles begann in Berlin. Am 17. Dezember 1938 gelang den Forschern Otto Hahn und Fritz Straßmann im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie die erste Atomkernspaltung. Damit wurde ein neues Zeitalter eingeleitet, von dem Albert Einstein befürchtete, dass es alles verändern sollte – nur nicht das Denken der Menschen.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gab der Nutzbarmachung der Atomkernspaltung zuerst eine militärische Richtung, denn nun waren Bomben mit einer bis dahin unvorstellbaren Detonationskraft denkbar. Den Wettlauf mit Deutschland, Japan und der UdSSR gewannen die USA. 1942 gelang in Chicago die erste Kettenreaktion, die große Mengen Plutonium freisetzte. Am 16. Juli 1945 schließlich zündeten die USA bei Los Alamos in New Mexico die erste Atombombe, noch zu Testzwecken. Die zweite Atombombe wurde dann am 6. August 1945 über Hiroshima abgeworfen, drei Tage später die über Nagasaki.

Produktionsstätten von Plutonium
Angesichts des Schreckens erhoben Wissenschaftler*innen die Forderung, ein atomares Wettrüsten zu verhindern. Um von den militärischen Zielen abzulenken, begann in den USA am 20. Dezember 1951 die nukleare Stromerzeugung. Otto Hahn warnte, dass „die großen mit vielen Tonnen Uran betriebenen Atomkraftmaschinen […] gleichzeitig dauernde Produktionsstätten von Plutonium sind“.

Im Dezember 1953 verkündete US-Präsident Dwight D. Eisenhower das Programm „Atoms for Peace“. Bereits 1952 hatte in Deutschland der sogenannte Uranverein um Werner Heisenberg auf eine zivile Nutzung der Atomkraft gedrängt, was damals durch den Alliierten Kontrollrat noch verboten war. Der Kalte Krieg änderte jedoch die Verhältnisse. Im Oktober 1955 wurde Franz-Josef Strauß erster deutscher Atomminister.

Konrad Adenauer und Franz-Josef Strauß wollten damals deutsche Atombomben bauen, die sie als „Weiterentwicklung der Artillerie“ und „beinahe normale Waffen“ verharmlosten. Dagegen kam es zur Göttinger Erklärung von 18 Atomwissenschaftler*innen: „Jedes Urankraftwerk ist zwangsläufig auch eine Kernsprengstofffabrik.“ Die militärischen Interessen wurden gestoppt.

Das Gespenst einer heraufziehenden „Energielücke“
Am 31. Oktober 1957 ging mit dem „Atom-Ei“ an der TU München dann der erste Forschungsreaktor in Deutschland in Betrieb. Die Energiewirtschaft war noch skeptisch. Denn die Gestehungskosten pro Kilowattstunde lagen mit 21,8 Pfennig bis zu zehnmal höher als beim Kohlestrom. Um die Atomenergie mit Steuergeld fördern zu können, wurde das Gespenst einer heraufziehenden „Energielücke“ an die Wand gemalt und die Verflechtungen zwischen Politik, Staat und Atomsektor wurde immer enger. Im Juni 1961 speiste das Atomkraftwerk Kahl in Unterfranken erstmals Atomstrom ins öffentliche Netz ein. Insgesamt wurden in beiden deutschen Staaten bis zum Jahr 2005 rund 110 kerntechnische Anlagen, Forschungsreaktoren und Atomkraftwerke in Betrieb genommen.

Mitte der 1970er-Jahre verstärkte sich dann der aktive Widerstand gegen die Atomenergie. Der Beinah-GAU 1979 im Atomkraftwerk Three Mile Island im amerikanischen Harrisburg, der Größte (bis dahin nicht) Angenommene Unfall 1986 in der ukrainischen Atomzentrale von Tschernobyl und die Nuklearkatastrophe 2011 im japanischen Fukushima führten schließlich auch im Bundestag zu einer breiten Mehrheit für den Ausstieg aus der Atomenergie.

Weltweit werden heute noch 432 Atomkraftwerke betrieben. Mindestens 200 von ihnen sollen in den nächsten 25 Jahren allerdings abgeschaltet werden. 53 neue Bauvorhaben sind bekannt, von denen viele jedoch fragwürdig scheinen. Die Bauzeiten liegen mindestens bei zehn Jahren, die Kosten explodieren.

Es bleibt richtig, dass sich die NaturFreunde von Anfang an sowohl gegen die militärische als auch die zivile Nutzung der Atomkraft ausgesprochen haben. Nicht zuletzt hat die technische Blindheit für die Folgen der Atomkraft viele Opfer, viele Ressourcen und viel Zeit gekostet, die nun schmerzlich fehlen beim Aufbau einer wirklich nachhaltigen Energieversorgung.

Michael Müller
Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands